Nutzloses Papier
Kommentar Warum Europa die Ukraine nicht alleinlassen darf
von Christian Neef
Wieder ist in Minsk eine Waffenruhe vereinbart worden, wieder soll Artillerie von der Demarkationslinie im ostukrainischen Kriegsgebiet abgezogen werden. Das mag die schweren Kämpfe rund um die Stadt Awdijiwka vielleicht beenden. Doch so etwas ist schon Dutzende Male vereinbart worden, und oft vergebens. Das Minsker Abkommen, das nun zwei Jahre alt wird, hat seinen Sinn verloren. Es war von Anfang an ein nutzloses Papier, nur den heißen Krieg rund um Donezk konnte es stoppen. Die politischen Bedingungen von Minsk – vor allem Wahlen in den besetzten Gebieten – wird die Ukraine niemals erfüllen, sie kann das auch gar nicht. Russland bleibt seiner verlogenen These treu, es habe mit dem Krieg gar nichts zu tun, hält den Konflikt militärisch und wirtschaftlich aber am Köcheln. Dass die Kämpfe in der Ostukraine jetzt wieder aufflammen, hat einen besonderen Hintergrund. Russland will mit dem neuen amerikanischen Präsidenten einen Deal für die Ukraine aushandeln, über den Kopf der Europäer hinweg. In Kiew wiederum herrscht schon seit Wochen Alarmstimmung. Das Assoziierungsabkommen mit der EU, das den Maidan auslöste, ist noch nicht ratifiziert, es könnte am Widerstand der Niederlande endgültig scheitern. Auch die Visafreiheit mit der EU wurde nicht eingeführt, obwohl Kiew alle 144 Forderungen aus Brüssel erfüllte. Die Wirkung ist verheerend: Von »Betrug« ist die Rede, die Ukrainer seien zuerst von Janukowytsch und dann von der EU hintergangen worden. Kiew fühlt sich im Stich gelassen. So wird die Front der Populisten und Radikalen gestärkt, viele wollen es nun auf eine Eskalation mit den Separatisten ankommen lassen. Eine Ukraine, die von Trumps Amerika, vielleicht aber auch von der EU alleingelassen wird, sollte man sich jedoch nicht wünschen. Sie würde ganz schnell zu einer Beute Russlands werden.