Dieser Vogel macht selbst Trump neidisch

● Helen Macdonald gelang im vergangenen Jahr mit H wie Habicht ein Erfolg, der sie selbst überraschte. Das Buch war eine persönliche Trauerarbeit, die Geschichte, wie ein Habicht namens Mabel die Erzählerin nach dem Tod ihres Vaters wieder ins Leben zurückbeförderte. Stets ging es dabei auch um Übertragung, um die Frage: Was sehen Menschen in Tieren? Sie beschäftigte Macdonald schon lange. Das Projekt einer Dissertation über Falken hatte sie einst aufgegeben, um ein ganz anderes Buch zu schreiben, eine erzählende, zoologisch informierende Kulturgeschichte, die die Grenzen zwischen Belletristik und Wissenschaft transzendiert. Dieses Buch aus dem Jahr 2006 wird nun, nachdem der Habicht den Weg gebahnt hat, erneut publiziert. Der Falke hat eine lange und komplexe Geschichte mit uns Menschen – aber Macdonald gelingt es, über den Vogel so zu schreiben, als wäre er gestern erst hereingesegelt. Es gibt jede Menge Märchen und Mythen, die großen literarischen Referenzen werden alle erwähnt – aber sie dienen dazu, die wesentliche Frage relevanter zu machen: Was sehen wir, wenn wir einen Falken sehen? Das ist ganz wörtlich gemeint, denn viele Beschreibungen beginnen mit einer Fehlwahrnehmung. Macdonald sieht einen Falken und hält ihn zunächst für einen Mann im Sakko auf einem Ast. Sie entwickelt die verschiedenen Bedeutungen, die dem Falken zugeschrieben wurden, als Symbol ritterlicher Tugenden, der unverfälschten Natur oder der Vergänglichkeit allen Seins. Das ist durchaus ideologisch eingefärbt. Hermann Göring kommt vor, der es fertiggebracht hat, auch die Vögel mit der Naziideologie zu behelligen; eine Falkenart fand er besonders arisch. Macdonald schildert all das nicht ohne Spott, steht aber zu ihrer Bewunderung: Sie stellt die Eigenschaften der Falken nicht nur dar, sie rühmt sie, sie staunt und schwärmt. Selbst Donald Trump würde, nach Lektüre der herausragenden Qualitäten des normalen Falken, in Minderwertigkeitskomplexen vergehen. Macdonald fällt immer noch ein Witz ein, um die Sache spannender zu machen. So fragt sie nicht nur, was wir in dem Tier sehen, sondern auch, was das Tier in uns sieht. Wie uns so ein Falke überhaupt sieht? Ein kurzer Abriss der hoch entwickelten Sinnesorgane des Raubvogels, der komplexen Nervenzentren und seiner Hirnarchitektur lassen vermuten, dass die Viecher schärfer, tiefer und weiter sehen als jede Darstellung im Oculus Rift. Wie mag ihnen die Welt erscheinen? Macdonald betont die Differenz zwischen Mensch und Tier, die erst macht die Sache spannend. Einem Falken bei der Jagd zuzusehen, auch nur wenige Sekunden lang, kann den Tag eines Menschen teilen, in davor und danach. Dem Falken wird es anders ergehen. Unglaublich, dass die Falken in den Sechziger- und Siebzigerjahren durch Insektizide fast ausgerottet waren. Wer dieses zauberhafte Buch liest, wird ganz anders zum Himmel über Stadt und Land blicken. Vielleicht blickt ein Falke zurück.