Es bleibt nur die Flucht
Kommentar Krankenhäuser als Kriegsziele? Das ist eine Zeitenwende.
von Veronika Hackenbroch
»Der Arzt deines Feindes ist nicht dein Feind«, dieser Satz müsse unbedingt gültig bleiben, appellierte Joanne Liu, Präsidentin der Nothilfeorganisation Ärzte ohne Grenzen, vergangene Woche auf der Münchner Sicherheitskonferenz an die Mächtigen der Welt; es klang fast schon verzweifelt. Angriffe auf Krankenhäuser, vor allem in Afghanistan, Syrien und dem Jemen, ließen sie zweifeln, ob sie überhaupt noch Mitarbeiter in besonders gefährdete Regionen schicken könne. Und da wusste Liu noch nicht, dass schon wenige Tage später erneut ein von Ärzte ohne Grenzen unterstütztes Hospital in Trümmer gebombt werden würde, dieses Mal in der nordsyrischen Provinz Idlib. Zwar ist die gezielte Zerstörung eines Krankenhauses ein eklatanter Bruch des Völkerrechts; laut Genfer Konventionen dürfen Ärzte und medizinische Einrichtungen nicht angegriffen werden. Doch es bahnt sich eine Zeitenwende an. In den immer chaotischeren Kriegen der Dauerkrisenherde der Welt geraten Krankenhäuser, Krankenpfleger und Ärzte offenbar zu besonders beliebten Zielen. Das eiskalte Kalkül dabei: Wenn die medizinische Versorgung einer Region wegbricht, bedeutet das schieren Terror für Zehntausende Zivilisten. Kinder, Schwangere, Verletzte sterben, Seuchen können sich ausbreiten. Am Ende bleibt den Menschen nur die Flucht. Eine Studie des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes zählte innerhalb von drei Jahren fast 2400 Angriffe auf medizinisches Personal in elf Ländern. In Syrien ist inzwischen ein Großteil der Krankenhäuser zerstört oder beschädigt. Natürlich, auch in früheren Kriegen wurden gelegentlich Lazarette und Krankenhäuser angegriffen. Jetzt aber haben die Zerstörungen eine Dimension angenommen, die als grausige Normalität daherkommt: Wieder eine Klinik kaputt? Aha. Dies jedoch darf auf keinen Fall geschehen: dass wir die Genfer Konventionen, die seit 150 Jahren ein wenig Menschlichkeit in die Barbarei des Krieges bringen, aufgeben. Die 196 Staaten, die sie ratifiziert haben, müssen sie mit aller Kraft verteidigen.