Urgewalt
Der Schriftsteller Lafcadio Hearn lässt in seinem Roman Chita Natur und Zivilisation aufeinanderdonnern.
Aus dem Englischen von Alexander Pechmann. Jung und Jung; 136 Seiten; 17,90 Euro.
Von Benjamin Maack

Die Wellen türmen sich am Morgen der Katastrophe noch immer hoch auf. Ein »stürmendes Verderben«, schreibt Lafcadio Hearn, sei über die Isle Dernière hereingebrochen, das Meer hat die Insel im Süden Louisianas überspült. Trümmer und Tote treiben vor der Küste, als der Fischer Feliu sich in die Brandung stürzt, um ein Kind zu retten. Mit einem Seidenschal ist es an seiner toten Mutter festgebunden, der leblose Körper der Frau wie festgeklammert an einen schwimmenden Billardtisch. Beinahe beiläufig positioniert der Autor dieses Detail und doch spiegelt sich in ihm die Kraft dieser außergewöhnlichen Erzählung. Hearn lässt Natur und Zivilisation aufeinanderdonnern, und wir dürfen dem poetischen Nachklang lauschen: die Vermählung des auf Präzision und Regeln basierenden Spiels der Menschen mit dem sinnlosen Spiel der Wellen. Lafcadio Hearn ist ein Meister der Sprache und ein Meister der Poesie, Chita ist sein Vermächtnis an die Weltliteratur. Eine Erzählung, die bereits 1888 veröffentlicht wurde und in Vergessenheit geriet. Nun ist das Buch erstmals auf Deutsch erschienen. Das ungeheure Aufbäumen der Natur bildete die Grundlage für Hearns Erzählung. Er lässt die Sätze wie Schollen treiben, tanzen, zusammenstoßen oder ruhig aneinander vorbeiziehen und den Leser ihre bloße Gravitation spüren. Die Natur wird vermenschlicht, der Mensch immer wieder zum Gegenstand und das Meer zum Protagonisten. Ebenso wie der Fischer, die Bayous von Louisiana oder das kleine Mädchen Conchita. Es ist erstaunlich, was Hearn hier mit der Literatur gelingt. Wie ein solches Buch vergessen werden konnte? Vielleicht liegt es am Œuvre des Autors, der als Reporter ebenso brillierte wie als Chronist des Japan der Jahrhundertwende. Vielleicht liegt es daran, dass diese Urgewalt von einer Erzählung nur knappe 136 Seiten dauert.